Das wahre Leben hat uns erst Christus geschenkt

Der Mensch verliert oft leicht das Ziel seines Lebens aus den Augen. Die übermäßige Bindung an irdische Güter, aber auch Mangel und Not, können ihm den Aufblick zu Gott erschweren.
Das beobachten wir täglich. Nach der Lehre Jesu („Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Reich Gottes“, Mt.19,24; Mk.19,25; Lk.18,25) ist es vor allem der nicht richtig genützte materielle Reichtum, der den Menschen verleitet, seine Hoffnung nicht mehr auf Gott, sondern auf sein eigenes „Vermögen“ zu setzen, sich durch vergängliche und oft auch wahnhafte „Dinge“ fesseln zu lassen und so immer mehr den Sinn für die Wahrheit und für das eigentliche Ziel des Lebens, ja für das Leben selbst zu verlieren, sich in Lug und Egoismus oder andere Sünden zu begeben.
Gott ruft den Menschen deswegen immer wieder neu, seinen Blick zum Himmel zu erheben, sich weder durch Glück noch durch Unglück blenden zu lassen, sondern sich immer wieder seiner von Gott gegebenen Bestimmung zu erinnern, das wahre Leben in der Liebe, die Gott ist, zu finden!
Der Mensch wurde von Gott für das Leben erschaffen, Tod, Vergänglichkeit und eitles Sinnen kamen erst mit der Sünde in diese Welt! Weil seither immer diese Verkehrung des Sinnes des Menschen ihn und die Welt bedroht und weil der Mensch so immer in Gefahr steht, sich im „Nichts“ zu verlieren oder sich der Sünde und der Bosheit auszuliefern, ist die ständige Bemühung zur Umkehr und der Ruf zur Umkehr so wichtig.
„Kehrt um!“ ist deswegen auch der Ruf, mit dem Jesus die Verkündigung der Frohbotschaft von der Liebe und Gnade Gottes beginnt, und mit dem sich Gott den gefallenen Menschen wieder zuneigt und sie aus dem Tod der Sünde wieder zum neuen und wahren Leben führen will: „Bekehret euch, denn das Himmelreich ist nahe!“ (Mt.4,17; vgl. Mk.1,15).
Wahres Leben ist nur möglich, wenn sich der Mensch von der Sünde, welche die Macht des Todes in der Welt begründet, ab- und der Liebe Gottes, seines Schöpfers, wieder zuwendet! Weil die innige Gottesverbindung des Menschen aber durch die Sünde verloren ging und so auch die ganze Schöpfungsordnung aus den Fugen geriet, ist der Mensch dabei auf die Gnade Gottes angewiesen. Der Mensch kann sich aus sich allein nicht mehr aus der Macht des Todes befreien oder die Macht des Bösen in der Welt besiegen, er kann sich auch nicht selbst die ursprüngliche Heiligkeit und Gerechtigkeit zurückgeben, in der Gott ihn zum Leben in ewiger Seligkeit berufen hat.
Seit der ersten Sünde herrscht deshalb in der Welt der Tod. Doch schon auf den ersten Seiten der Heiligen Schrift, kurz nach dem Sündenfall, wird dem Menschengeschlecht allerdings nicht nur Strafe und Kampf, sondern auch ein Sieg über Satan, den Feind Gottes und alles Guten, der in Gestalt einer Schlange die Menschen zum Ungehorsam und zum Abfall von der Liebe Gottes verführt hatte, verheißen, da Gott zur Schlange sprach: „Feindschaft will ich zwischen dir und der Frau setzen, zwischen deinem Spross und ihrem Spross. Der wird dir den Kopf zertreten; du aber wirst ihn an der Ferse verletzen“ (Gen.3,15). Diese Worte erscheinen wie ein erster Ausblick auf das Kommen des göttlichen Erlösers als des Sohnes Mariens, dem zwar Satan als Mensch auch zusetzen wird, der aber schließlich das Haupt dessen, der den Menschen zur Sünde verführt und damit der Nacht des Todes ausgeliefert hat, zertreten und ihn so auch überwinden wird!
Das Alte Testament beginnt also mit der Sünde und dem darauf folgenden Ausgeliefert-Sein des Menschen an Satan und Tod. Es kennt auch schon von Beginn an eine Verheißung eines Sieges über Satan, der dem „Spross“ und der Frau nur nach der Ferse schnappen kann, von dieser Ferse aber doch zertreten und besiegt werden soll (weshalb Maria oft mit dem Jesuskind auf dem Arm und dem Fuß auf dem Kopf einer Schlange dargestellt wird). Die am Anfang offenbarte, aber im Alten Testament unerfüllte Verheißung weist auf eine Vollendung der Geschichte Gottes mit dem Menschen jenseits dieses Alten Bundes hin und somit über diesen Bund bereits hinaus. Die dort vor Augen gestellte Geschichte der Welt, in welcher alle Geschöpfe Gottes vollkommen gut geschaffen und gewollt sind, die aber durch den Fall der Menschheit in die Sünde auch zu einer „Katastrophengeschichte“ geworden ist, bleibt im Alten Testament ohne wirklichen Abschluss und ohne wirkliche und endgültige Vollendung, weil der Mensch der Gewalt der Sünde und ihrer Folgen aus eigener Kraft nicht mehr wirklich entrinnen kann und somit auch das Böse im Rahmen dieser Sichtweise scheinbar „unbesiegbar“ in der Schöpfung verbleibt!
Das Judentum erwartete somit völlig zu Recht einen Retter, einen „Gesalbten“ (=Messias), der die Not Israels, des Volkes Gottes, wendet und die Menschen von den Strafen für der Sünden befreit, indem er die Menschen die Gebote Gottes recht verstehen und sie auch richtig zu erfüllen lehrt und sie so in ein neues Zeitalter des Friedens und des Segens Gottes führt!
Denn auch schon das Alte Testament stellt Israel klar vor die Entscheidung zwischen einem Leben mit Gott, das Heil bringt, oder einem Verharren in der Sünde, die jedoch aus sich heraus zum Tode führt: Als Gott dem Volk Israel die Gebote durch Moses gab, sprach Er durch ihn: „Leben und Tod, Segen und Fluch habe ich dir vorgelegt. So wähle das Leben, damit du am Leben bleibst, du und deine Nachkommen! Liebe den Herrn, deinen Gott, gehorche ihm und sei ihm treu ergeben! Denn davon hängt dein Leben und die lange Dauer deiner Tage ab, die du in dem Lande zubringen darfst, das der Herr deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob zu geben geschworen hat“ (Dt.30,19f.).
Bei dieser Entscheidung zwischen Tod und Leben steht im israelitischen Denken aber noch vor allem der Segen oder Fluch für das diesseitige Leben im Blickfeld. Einen wirklichen und endgültigen Sieg über den Tod selbst kennt das Alte Testament noch nicht. Es erweist so aus sich selbst seinen nur vorläufigen Charakter. Der Tod kam zwar auch nach jüdischer Lehre durch die Sünde, aber er gehört seither eben zum Leben dazu. Der Mensch ist ihm ausgeliefert und verfallen. Ja große und einflussreiche Kreise des gläubigen Judentums wie die Sadduzäer, zu denen vor allem die gebildeten Kreise und viele aus dem Priestertum gehörten, glaubten gar nicht an ein Leben nach dem Tod! Entsprechend wurde im Judentum oft auch die Messias-Erwartung auf die bloße Sehnsucht nach einem diesseitigen Herrscher verkürzt, der in irdischer Machtfülle die weltlichen Feinde Israels in Schach hält und besiegt.
Eine Auffassung, die Jesus selbst bei seinen eigenen Jüngern bekämpfen und ihnen die Augen für den allein vollkommenen Plan Gottes öffnen muss, der sich nicht mit einem bloß zeitlichen Sieg über politische Feinde zufrieden geben kann! Ohne den Sieg über den ursprünglichen Feind, der die Menschheit in Sünde und Tod geführt hat, bleibt die Menschheit letztlich immer unerlöst, und der eigentliche Plan Gottes für die Menschen, die Er in Liebe und für die Liebe erschaffen hat, die kein Ende kennt, wäre somit nie erfüllt!
Jesus verkündet daher von Anfang das Reich Gottes nicht als ein irdisches Reich, sondern als „Himmelreich“ (Mt.4,17). Die Sendung des wahren Messias geht also weit über die eines irdischen Herrschers hinaus. Jesus ist „Heiland“, der die Seelen der Menschen heilen und heiligen will, Er ist Erlöser, der uns von allen Fesseln der Sünde und damit auch der Strafe des Todes löst, Er ist „Seligmacher“, der nicht irdisches, wertloses und vergängliches „Glück“ zu bringen sich bescheidet, sondern uns zum wahren, ewigen und seligen Leben in Seiner göttlichen Liebe führen will!
Da irdische Macht oder weltlicher Reichtum die Erfüllung dieser Seiner Sendung verdunkeln und ihr auch widersprechen würden, entzieht Er sich konsequent jedem menschlichen Versuch, Ihn in diesem Sinn zu weltlicher Herrschaft oder zum politischen Kampf zu überreden. Er betont: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“ (Joh.18,36) und zieht sich zurück, als „sie kommen und Ihn mit Gewalt zum König machen wollten“ (Joh.6,15).
Wie findet der Mensch nun vom Tod zum wahren Leben, das Gott ihm schenken will? - Das Gebot Gottes, das dem Menschen das Leben verheißt, wird auch schon im Alten Testament grundsätzlich als leicht erfüllbar vor Augen gestellt: „Das Gesetz, das ich dir heute gebe, ist für dich nicht zu schwer und nicht unerreichbar. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen, um es uns zu holen und zu verkünden, damit wir es befolgen können. Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer wird für uns über das Meer fahren, um es uns zu holen und zu verkünden, damit wir es befolgen können? Nein, ganz nahe ist dir das Gesetz. In deinen Mund und in dein Herz ist es gelegt, so dass du es befolgen kannst“ (Dt.30,11ff.).
Der Wille Gottes, der von den Frommen Israels, auch zur Zeit Jesu, im Kern richtig als Gottes- und Nächstenliebe verstanden worden ist, welcher Liebe die anderen Gebote letztlich dienen sollen, ist für den Menschen als Ebenbild Gottes grundsätzlich also nicht fremd oder schwierig zu erfüllen!
Und dennoch bleibt der Mensch vor Christus den Geboten gegenüber im Zwiespalt: Einerseits, weil er sich in der Sünde, also der Gottesferne, befindet, die ihn in solch einer gespaltenen Geisteshaltung die an sich leichten Gebote nicht leicht und nicht vollkommen erfüllen lässt. Durch die Sünde ist die Erkenntnis-, aber auch die Willenskraft des Menschen geschwächt und somit zur Vollkommenheit praktisch unfähig. Andererseits besteht der Zwiespalt auch darin, dass die Gebote des Alten Bundes in ihrer konkreten Ausgestaltung in einer in Sünde liegenden Welt auch einem pädagogischen, also nicht nur moralischen Zweck dienen, die wegen der Erkenntnis- und Willensschwäche dem Menschen mehr äußerlich zur Orientierung dienen oder auch den Charakter einer Strafe an sich haben. Der Mensch, der in der Sünde die „Freiheit der Kinder Gottes“ (Röm.8,21) verloren hat, die Er erst durch die Erlösung und Gnade wieder erlangen kann und wird (vgl. Röm.8,15ff.; Gal.4,5ff.), braucht die äußeren Vorschriften, weil er die innere Sicherheit der vollkommenen Liebe verloren hat, die ihm ursprünglich gegeben war und die ihm nur der Heilige Geist wieder schenken kann. Die äußeren Vorschriften, welche die weitgehende innere Blindheit überdecken, machen dem Menschen zugleich deutlich, wie weit er sich von Gott entfernt hat, sollen ihn also wohl auch sich selbst, aber auch der Unvollkommenheit des Alten Bundes gegenüber kritisch machen und die Sehnsucht nach dem Erlöser wecken.
Schwierig war die rechte Erfüllung der „Gesetze“ im Alten Testament auch, weil es immer mehr nicht in der Heiligen Schrift stehende Überlieferungen und Vorschriften gab, wie die Gesetze denn richtig zu erfüllen sind. Die Gesetzeslehrer meinten, einen „Zaun“ um das Gesetz herum errichten zu müssen, welcher die Menschen daran hindern sollte, die Gesetze falsch zu verstehen oder gar zu übertreten.
Und da es in den Jahrzehnten und Jahrhunderten vor dem Kommen Jesu keine Propheten mehr gab und so anscheinend der Heilige Geist von Israel gewichen war, erklärte die pharisäische Tradition, dass das mündlich überlieferte Gesetz, welches das schriftliche ergänzte und auslegte, nun diese prophetische Aufgabe übernommen habe, das Volk zu leiten, zu einigen und auf dem rechten Weg der Gottesverehrung zu bewahren. Deswegen sollten alle möglichen Vorschriften so gewissenhaft wie möglich beachtet werden. Wegen der Menge und der Beschaffenheit all dieser „Gesetze“ war es aber im konkreten Leben oder in den unterschiedlichen Situationen praktisch nicht möglich, alles wirklich „richtig“ zu machen, woraus dann oft wieder neue Streitfragen und neue Vorschriften erwuchsen. Man sah vor lauter Bäumen letztlich den Wald (das, worauf es eigentlich bei der Gottesverehrung und Gottesliebe ankommt) nicht mehr. Deshalb hat Jesus auch immer wieder vor einer oberflächlichen und äußerlichen Gesetzlichkeit gewarnt und mit so viel Nachdruck auf die wahre Erfüllung der Gottesliebe hingewiesen.
Möglicherweise sollte eine „geschäftige“ Erfüllung vieler äußerlicher Vorschriften auch ein wenig über die innere Schwäche des Menschen hinwegtäuschen, der noch in der Macht der Sünde lebt und so kaum die einfachsten Gesetze der Liebe wirklich zu erfüllen vermag! Letztlich hat aber gerade diese nur scheinbar verwirklichte „Gesetzestreue“ die unheimliche Macht der Sünde noch deutlicher gezeigt, indem sie die Menschen versteckt nur in Hochmut und mangelnde Selbsterkenntnis geführt hat. Eine wirkliche Lösung der Sündennot des Menschen konnten somit die Gesetzeslehrer des Alten Bundes den Menschen trotz aller menschlichen Bemühung niemals bieten!
So "brachte ... das Gebot, das zum Leben führen sollte, den Tod" (Röm.7,10). Auf diese Problematik weist besonders der heilige Paulus immer wieder hin, er, der ja zu Füßen Gamaliels, eines der bedeutendsten Rabbis und Gesetzeslehrer seiner Zeit (gest. ca. 50 n.Chr.), erzogen und ausgebildet worden war (vgl. Apg.22,3) und dort die innere Not der Suche nach der rechten Erfüllung der Gebote Gottes in Israel wohl auch deutlich erfahren und kennen gelernt hatte.
Paulus betont aus dieser Erfahrung heraus entgegen einem falschen Überlegenheitsgefühl Israels, dass auch „die Heiden, die das Gesetz nicht kennen, aus natürlichem Antrieb die Forderungen des Gesetzes erfüllen… Sie zeigen damit, dass der Kern des Gesetzes“ (nämlich die natürliche Sittlichkeit und Liebe, die in ihrem Anspruch und in ihrer Bedeutung auch nach dem Sündenfall grundsätzlich erkennbar ist; Anm.) „in ihr Herz geschrieben ist. Ihr Gewissen bezeugt es ihnen und die Gedanken, die einander anklagen und verteidigen“ (Röm.2,14f.).
Und er bekämpft damit einen falschen, überheblichen und eitlen Gesetzesdünkel: „Du nennst dich einen Juden, verlässt dich auf das Gesetz, rühmst dich Gottes und kennst Seinen Willen. Im Gesetz belehrt, weißt du, was gut und böse ist… Den anderen belehrst du, und dich selbst belehrst du nicht? … Du rühmst dich des Gesetzes, und du entehrst Gott durch Übertretung des Gesetzes? Denn durch eure Schuld wird der Name Gottes unter den Heiden gelästert, wie die Schrift sagt“ (Röm.2,17ff.).
Letztlich sind so alle Menschen, ob Heiden oder Juden, der Sünde verfallen und von ihr gefangen: „Da gibt es keinen Unterschied. Alle sind der Sünde verfallen und entbehren der Herrlichkeit Gottes. Durch Seine Gnade werden sie aber ohne Verdienst dank der Erlösung in Christus Jesus gerechtfertigt. Ihn hat Gott in Seinem Blute als Sühnopfer durch den Glauben hingestellt, um Seine Gerechtigkeit zu erweisen… Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen… Denn wir sind überzeugt, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, unabhängig von Gesetzeswerken“ (Röm.3,23ff).
Der Protestantismus missdeutet diese Stelle seit Luther und den anderen „Reformatoren“ gerne und meint hier herauslesen zu können oder zu sollen, dass gute Werke für unser Heil nicht notwendig oder gar „schädlich“ (vgl. Nikolaus Amsdorf 1559) seien, dass wir also letztlich in der Sünde verharren könnten und trotzdem durch den Glauben gerechtfertigt seien, eine Ansicht, die wir heute auch bei Modernisten sehen. Eine solche Auffassung widerspricht aber total dem, was der heilige Paulus meint. Paulus will etwas ganz anderes sagen: Da wir alle gesündigt haben und Sünder sind, können wir die Rechtfertigung vor Gott nicht durch unsere Gesetzeswerke erlangen oder einfordern. Sie muss uns geschenkt werden durch die Gnade Gottes. Die Ursache unseres Heiles ist also Gottes Gnade, wir sollen mit dieser Gnade aber durch gute Werke mitwirken und uns ihr würdig erweisen, sonst wären wir nicht wahre Jünger und Glieder Christi und könnten auch nicht Anteil an Seinem Heil gewinnen: „Sollen wir also in der Sünde verharren …? Nie und nimmer! Wir sind doch“ (mit und in Christus) „der Sünde abgestorben“ (Röm.6,1f.).
Mit Recht hat also das Konzil von Trient (1545 – 1563) diese protestantische Fehldeutung der Aussage des heiligen Paulus zurückgewiesen, indem es zitiert, was Paulus an einer anderen Stelle ganz klar sagt, dass „nur der Glaube, der sich in der Liebe auswirkt“ (Gal.5,6), einen Wert hat. Der wahre und lebendige Glaube ist also ohne Werke nichts, das finden wir überall im Neuen Testament!
Hier an dieser Stelle geht es bei Paulus nicht um die guten Werke an sich, sondern um die jüdischen „Gesetzeswerke“, welche in ihrem Verständnis oft auch die Gefahr beinhalteten, durch bloße Gesetzlichkeit oder äußere Gesetzeserfüllung sich dem Wahn einer Art „Selbsterlösung“ hinzugeben. Er betont, dass sich der Mensch nicht selbst durch sein eigenes Tun rettet oder die Vergebung der Sünden „verdienen“ kann, sondern dass Rettung immer nur von Gott kommen kann, die Rechtfertigung des Menschen also nicht ohne Glaube und ohne Gnade möglich ist, wobei der Glaube, wie im Christentum immer, nie allein theoretisch, sondern immer nur praktisch im Zusammenhang mit der Hoffnung und der Liebe (also der guten Werke) als lebendig und heilbringend verstanden wird! Denn die lebendige Verbindung mit Gott und damit das Heil ist nur möglich, wenn der Glaube in der Liebe gelebt wird!
Für die wahre Liebe muss unser Herz aber erst durch die Erlösung im Heiligen Geist befähigt werden. Vor und ohne Jesus Christus, der zu unserem Heil gekommen ist und der für uns am Kreuz gestorben ist, war dieses neue Leben in der Liebe des Heiligen Geistes noch gar nicht möglich. Die Menschen waren Gefangene der Sünde.
Und so ist nach dem heiligen Paulus auch durch das alttestamentliche Gesetz nicht die Erlösung gekommen, sondern nur der Gehorsam dem Willen Gottes gegenüber auf die Probe gestellt worden, damit der Mensch die Erlösungsbedürftigkeit erkennt und sich in Demut Gott zuwendet. In diesem Zusammenhang weist der heilige Paulus auf die im Gefolge der Ursünde Adams und Evas sich zeigende allgemeine Sündenverfallenheit der Menschheit hin, also die Sündhaftigkeit und ihre Folgen, die im Katechismus als „Erbsünde“ bezeichnet wird, welche auch durch das alttestamentliche Gesetz offenkundig wurde. Dieses alttestamentliche „Gesetz“ brachte also noch nicht die Erlösung und konnte sie auch nicht bringen. Es bereitete die Menschen aber auf diese Erlösung vor, indem es die Sündennot der Menschen offenbarte und die Sehnsucht nach dem Erlöser weckte.
„Was werden wir nun sagen? Das Gesetz sei Sünde? Auf keinen Fall. Allerdings habe ich die Sünde erst durch das Gesetz kennen gelernt… Sobald … das Gesetz kam, lebte die Sünde auf, und ich verfiel dem Tode. So brachte mir das Gebot, das zum Leben führen sollte, den Tod. Denn die Sünde wurde durch das Gebot erst recht rege, hinterging mich und brachte mir dadurch den Tod… Das Gebot ist heilig, gerecht und gut. Ist also das Gute mir die Ursache des Todes geworden? Auf keinen Fall. Vielmehr war es die Sünde. Die sollte dadurch sich als Sünde enthüllen, dass sie mir durch das Gute den Tod brachte…
Wenn ich das Gute tun will, liegt mir das Böse näher. Dem inneren Menschen nach habe ich zwar Freude am Gesetz Gottes. Aber ich nehme in meinen Gliedern ein anderes Gesetz wahr, das im Streite liegt mit dem Gesetze meines Geistes. Es macht mich zum Gefangenen unter dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern herrscht“ (Röm.7,7ff.; 7,21ff.).
Nachdem der heilige Paulus also diesen todgeweihten Zustand des Menschen in der (Erb)Sünde beschrieben hat, kommt er zu der alles entscheidenden Frage, wie der Mensch denn wieder den Weg zu Gott und zur Heiligkeit, also den Weg, der aus dem Tod zum wahren Leben führt, finden und gehen kann:
„Ich unglückseliger Mensch! Wer erlöst mich von diesem todgeweihten Leibe? – Dank sei Gott (Anm: oder nach der Vulgata auch übersetzt: Die Gnade Gottes) durch Jesus Christus, unseren Herrn! … Denn das Gesetz des Geistes, der das Leben in Christus Jesus gibt, hat dich vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit. Was nämlich das Gesetz nicht vermochte, weil es infolge des Fleisches zu schwach war, das hat Gott bewirkt. Er hat Seinen eigenen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen gesandt und die Sünde an Seinem eigenen Fleische verurteilt. So sollte die Vorschrift des Gesetzes an uns erfüllt werden, die wir nicht mehr nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geiste… Das Sinnen des Fleisches führt zum Tode, das Sinnen des Geistes zum Leben und Frieden“ (Röm.7,24f.; 8,2ff.).
Der heilige Paulus beschreibt hier, wie wir durch das freiwillige Sühneleiden Christi, der die Strafe für unsere Sünden an Seinem eigenen Fleisch erlitt, zum neuen Leben im Heiligen Geist und in der wahren Liebe fähig geworden sind. Die Evangelisten berichten, wie Jesus Christus selbst Sein Leiden in diesem Sinn Seinen Jüngern mit Stellen aus dem Alten Testament erklärt. Es sind Texte aus den Propheten wie die vom leidenden Gottesknecht (z.B. Is.52,13ff; 53,1ff.), aus den Psalmen und viele andere, die von der heiligen Kirche von Anfang an (vgl. Apg.8,32ff.: Is.53,7f.) aufgenommen und auch besonders in der Fasten- und Osterzeit in der Liturgie vorgetragen werden.
Uns Christen, welche die Gnade der Erlösung in der Taufe empfangen haben und die Frohbotschaft vom Kommen Christi und vom neuen Leben in Seiner Gnade immer wieder neu vernehmen, ist es oft nur noch recht wenig bewusst, in welcher Finsternis, Sünden- und Todesnot die Menschen ohne Christus meist leben. Oberflächlich lässt auch der Wohlstand unserer Tage die Menschen die eigene geistliche Not verdrängen. Ganz beseitigen kann aber kein Mensch die alles entscheidenden Fragen nach dem eigentlichen Leben, nach dem Wert alles Seins, nach einer Alternative zu Sünde und Tod usw. Jeder muss sich ihnen stellen. Ohne Jesus Christus und Seine erlösende Gnade, sowie ohne den Heiligen Geist, der uns allein erleuchtet und wahres Leben schenkt, bleibt der Mensch in der Finsternis und Leere und kann diese Fragen auch niemals wirklich beantworten oder den Weg des erlösten Lebens in der Gnade Gottes finden oder gehen!
Ostern ist deshalb ein so bedeutsames Fest für die Menschheit, weil es Zeugnis gibt für das neue, erlöste Leben, das Christus uns schon hier und jetzt schenken und ermöglichen will, aber auch deshalb, weil Christus, der Gekreuzigte, als Auferstandener und Verklärter und nun ewig in der Herrlichkeit Seines Vaters Lebender vor unsere Augen tritt und auch uns durch die Nachfolge auf dem irdischen Kreuzweg zu diesem neuen und seligen Leben in ewiger Liebesgemeinschaft mit Ihm beruft. Er sendet uns, allen Menschen diese Frohbotschaft zu verkünden, dass auch sie berufen sind, Anteil an dieser Herrlichkeit im Heiligen Geist durch den Glauben zu erlangen und so der tristen Vergänglichkeit dieser dem Tod und der Sünde verfallenen Welt zu entrinnen, um ewig in und mit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit das wahre Leben, das nur Gott schenkt und das Gott selbst ist, zu erlangen.
Das Neue Testament berichtet, wie Jesus Christus selbst Seinen Jüngern das richtige und endgültige Verständnis der Schriften des Alten Testamentes erschloss und ihnen so auch den Schlüssel gab, die scheinbare Ausweglosigkeit und die Unvollkommenheit des Alten Bundes zu überwinden. Immer wieder weist Er auf die Erfüllung und damit auf die Bedeutung Seines Kommens und Seines Erlösungsopfers hin: „’Das bedeuteten meine Worte, die ich zu euch gesprochen hab, als ich noch bei euch weilte, nämlich: Alles muss sich erfüllen, was im Gesetz des Moses, bei den Propheten und in den Psalmen von mir geschrieben steht.’ Hierauf erschloss Er ihnen den Sinn für das Verständnis der Schriften. Dann sagte Er zu ihnen: ‚So steht geschrieben: Der Messias muss leiden und am dritten Tag von den Toten auferstehen. In Seinem Namen soll bei allen Völkern, angefangen von Jerusalem, Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden. Ihr seid Zeugen davon. Seht, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch herab’“ (Lk.24,44ff.).
In der Nachfolge und im Glauben an Jesus Christus können und dürfen wir also im Heiligen Geist in einem neuen Leben wandeln: „Wir sind … durch die Taufe auf den Tod mit Ihm begraben. Wie aber Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferstanden ist, so sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn sind wir mit Ihm durch die Ähnlichkeit mit Seinem Tode verwachsen, so werden wir es auch durch die Ähnlichkeit mit Seiner Auferstehung sein. Wir wissen ja, dass unser alter Mensch ans Kreuz geschlagen wurde, damit der sündige Leib vernichtet wird und wir nicht mehr Sklaven der Sünde sind… Wenn wir … mit Christus gestorben sind, so glauben wir, auch an Seinem Leben teilzunehmen. Wissen wir doch, dass Christus, von den Toten auferstanden, nicht wieder stirbt… So betrachtet auch ihr euch als solche, die tot sind für die Sünde, die aber leben für Gott in Christus Jesus, unserem Herrn“ (Röm.6,4)!
In diesem Sinn feiert die Kirche in der Osterfreude die Auferstehung ihres Herrn!

Thomas Ehrenberger

 

 

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